Blutegel im Dienste der Medizin

Blutegel erregen Ekel. Doch die schwarzen Würmchen können mehr: Ihr Biss bringt lahme Blutbahnen auf Trab. Ob Transplantation, Rheuma, Gicht oder Tinnitus – immer öfter vertraut auch die Schulmedizin auf die Minivampire und ihren Wunderspeichel.

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Egel für die Medizin

Auf den ersten Blick erregen die Vampirwürmer Graus und Ekel. Doch immer mehr Ärzte entdecken: Blutegel sind wahre Wunderbeißer. Ihr Speichel bringt träges Gewebe in Fluss, hemmt Entzündungen und hat so manchem Unfallopfer Finger oder Ohr gerettet. Die Putz-Taktik ist evolutionär begründet: Hält der Egel sich und seinen Wirt gesund, schmeckt es ihm auch beim nächsten Biss. Doch dazu kommen therapeutische Sauger selten: Aus Hygienegründen enden sie meist im Alkoholtod.

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Wundersamer Spucke-Cocktail

Egelspucke ist auch noch in modernen Zeiten ein Wundercocktail. Obwohl die meisten Einzelzutaten mittlerweile identifiziert sind, entfalten sie nur im richtigen Mix, das heißt im Egelmaul, ihr heilsames Zusammenspiel. Das egeleigene Enzym Hirudin verlangsamt die Blutgerinnung des Opfers. Bis zu zwölf Stunden lang blutet eine Egel-Bisswunde nach – und säubert sich dadurch selbst. Weitere Substanzen wirken zusätzlich reinigend und entzündungshemmend. Besonders die Unfallchirurgie macht sich den Wurmspeichel zu Nutze. Denn bei abgerissenen, wiederangenähten Fingern, Ohren oder Hautlappen sind viele Gefäße gequetscht. Dann drohen Blutstau und Amputation. Wiederholtes Saugen der Vampirwürmer bringt Adern und Gewebe wieder in Fluss.

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Reines Blut durch heilenden Speichel

Neben chirurgischen Zwecken setzen Ärzte den Wundersauger auch bei Thrombosen, Gelenkentzündungen, chronischen Erkrankungen wie Rheuma und Gicht, aber auch bei Tinnitus und sogar bei Depressionen ein. Zuerst lenkt der Arzt den Wurm an die gewünschte Beißstelle, notfalls per appetitanregenden Ritz. Mit seinen vielen Zähnchen sägt sich der Minivampir dann zu den oberen Blutgefäßen durch. Der Patient merkt davon wenig, höchstens ein ameisensäureähnliches Brennen. Bis zu einer Stunde lang pumpt sich der Wurm nun mit Blut voll. Rund 20 Milligramm nimmt er auf und lässt sich dann abfallen – satt für bis zu zwei Jahre.

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Renaissance der Blutsauger

Der heilsame Biss des Blutegels war schon in der Antike bekannt. Sein Name kommt vom griechischen echis, kleine Schlange. Manche Forscher vermuten sogar, dass die Schlange des Äskulap-Stabes – noch heute Symbol für die Heilkunst – eigentlich ein Egel sei. Noch im 19. Jahrhundert setzte man die Sauger gern und ausgiebig zum Aderlass ein. Schnell wurden ihnen abenteuerliche Universal-Heilkräfte angedichtet. Sogar gegen Fettsucht sollten sie helfen. Der medizinische Fortschritt schließlich untergrub diesen so genannten Vampirismus, und die Egel verschwanden in der Versenkung. Doch heute gewinnt ihr Einsatz wieder an Bedeutung. Die entzündungshemmende und blutreinigende Wirkung ihres Speichels ist mittlerweile eindeutig belegt. Die Nachfrage steigt, auch in der Schulmedizin.

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450 Millionen Jahre Blutegel-Tradition

Egel gibt es bereits seit 450 Millionen Jahren. Genug Zeit also, um sich zu vervollkommnen: Die Ringelwürmer können sowohl im Wasser als auch an Land atmen. Sie besitzen fünf Augenpaare, die Schatten und jede Bewegung wahrnehmen. Ihr Körper ist mit einem hochempfindlichen Nervensystem ausgestattet, mit dem sie hervorragend tasten und schmecken können. Im Wasser, ihrem bevorzugten Aufenthaltsort, erkennen die schwimmenden Zungen kleinste Erschütterungen und Duftspuren. Flugs schlängeln sie sich dann Richtung Opfer – manche Biologen vergleichen ihren eleganten Schwimmstil sogar mit dem eines Delphins.

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Meisterwerk der Evolution

Ihr Körperbau ist einzigartig: 33 Segmente können separat auseinander und wieder zusammengezogen werden. So kann sich der Blutegel bis auf das Zehnfache seiner Größe strecken. Starke Muskelpakete machen ihn über die Maßen beweglich. Seine rund 80 scharfen Kalkzähnchen ritzen sich fast unbemerkt in die Haut seiner Opfer. Und während er sich am Blut seines Wirtes labt, sorgt er gleichzeitig dafür, dass dieser ihm gesund erhalten bleibt. Bei der Jagd sind Egel übrigens wählerisch: Raucher mögen sie genauso wenig wie Parfüm.

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Rollentausch: Vom Männchen zum Weibchen

Männlich sind die Egel nur die ersten drei Jahre, danach verwandeln sich die Zwitterwürmer in Weibchen. Biologisch betrachtet ist das durchaus sinnvoll: Mehr Weibchen bedeuten mehr Nachkommen. Zwischen zehn und dreißig Egelkinder schlüpfen aus den in Ufernähe abgelegten Kokons. Aber die Würmer sind stressanfällig: Unsauberes Wasser und andere Stressfaktoren eliminieren gut 90 Prozent der Nachkommenschaft. Nur wenige erreichen das mögliche Alter von 30 Jahren.

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Rentnerteich für ausgediente Egel

Die medizinischen Blutegel werden nach der Anwendung meist in Alkohol ertränkt. Aus Hygienegründen dürfen die Tiere nur einmal an Menschenblut. Doch mancher Arzt lässt Milde walten und schickt den gesättigten Helfer zurück in die Zuchtstation. Dort wartet ein eigener "Rentnerteich" auf die Sauger. Bislang kann allerdings nur ein Prozent der Tiere diesen verdienten Lebensabend genießen.

Medizin des Mittelalters

 

Welt der Wunder begibt sich auf die Spuren von Medicus, Bader und Hebamme und zeigt die kuriosen Anwendungen und Erkenntnisse der mittelalterlichen Heilkunst.

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